Celine: Sibyllinische Eleganz
Nur wenigen zeitgenössischen Designern wird dieser Tage in Paris mehr Bewunderung zuteil als Hedi Slimane, dem französischen Kreativdirektor von Celine. Und angesichts seiner jüngsten co-ed Show, die Bourgeoisie ausstrahlte und dennoch leicht subversiv blieb, ist auch klar, warum dem so ist.
Die Show fand am späten Freitagabend in einem riesigen Celine-Zelt hinter der Grabstätte Napoleons statt. Da das Label im Januar an der französischen Schauensaison keine Menswear gezeigt hatte, organisierte Celine eine Co-ed-Show. Die meisten Looks, die von Hedi Slimanes jugendlichen Models präsentiert wurden, richteten sich an das männliche Geschlecht. Vor der Show versuchten Hunderte französische Jugendliche im Rausch der Mode, Einlass zur Veranstaltung erhalten.
Hedi Slimane spielte mit allerlei modernen, edlen, Pariser Ideen – Seidenschleifen, Hosenröcke, Redingotes, Mini-Westen – überraschte aber durch elegante und unerwartete Proportionen und verblüffende Kombinationen. Wer hätte gedacht, dass eine sanfte Lammfell-Jacke mit einem gerüschte Revers gepaart werden könnte? Ebenfalls überraschend war die großartige und raffinierte Kombination eines Rockermantels mit einer Norfolk-Jacke. Und die Dufflecoats mit goldenen Borten werden bei Rockstars garantiert Anklang finden.
Die gezeigten Schnitte und Silhouetten erinnerten zum richtigen Zeitpunkt daran, dass Hedi Slimane unter den High-End-Runway-Marken der wichtigste Modeschneider seit Giorgio Armani ist.
Seine Damenlooks für Celine sind eine clevere Kombination vorlauter Saint-Germain-Mädchen, sorgenfreier Londoner Rockerinnen und launenhafter Kalifornierinnen. Doch in der Herbst-Kollektion 2020 schwang ein schickerer Hauch mit, mit Abendkleidern aus glänzenden, seidenen Stoffen, goldenen Plissee-Röcken und glitzernden Cocktail-Kleidern. Wer auch immer in seinem Atelier Hand angelegt hat – sei es ein Anfänger oder ein Routinier – beherrscht sein Handwerk. Bei schlechtem Wetter zieht die Celine-Frau Falten-Hosenröcke, Stiefel mit hohen Absätzen und Umhänge im Yorkshire-Karomuster an.
Die Show mit ihrem sensationellen Soundtrack – “Get Out of My Head” von Sofia Bolt – fand vor einer riesigen Lichterskulptur statt – wofür das Haus im Programmheft einen Dank an die Fondation César richtete – und erntete einen riesigen Applaus von den zahlreichen Fans auf den Tribünenplätzen. Erklärungen suchte man im Programm vergeblich. Hedi Slimane mag in jüngerer Vergangenheit so manche Kritiker durch die Vorhersehbarkeit seiner Schauen verdrießen, doch gibt er den Menschen, was sie wollen.
In einer E-Mail nach der Show wurde das 1966 von Richard Vipiana – dem Ehemann der Céline-Gründerin – entwickelte Sulky-Symbol aus den Archiven betont. Und die Accessoires mit diesem Reitsport-Einschlag waren auch die besten, die Hedi Slimane entwickelte.
Sowjetologen stützten sich bei den Maikundgebungen auf dem Roten Platz in Moskau jeweils auf die Präsenz wichtiger Führer, um dadurch auf die Zukunft zu schließen. In der Modebranche geschieht dies bei LVMH durch die Präsenz – oder Abwesenheit – von Bernard Arnault an einer Show.
Bei Celine glänzte dieser am Freitagabend mit Abwesenheit. Doch angesichts der Coronavirus-Krise, die sich auf alle Aspekte der Gesellschaft auswirkt, ist dieses Anzeichen vielleicht doch nicht so aussagekräftig. Seine Tochter und ihr Partner Xavier Niel wurden am Abend vor Ort gesichtet. Sie begaben sich in den abgeriegelten Backstage-Bereich, um den Kreativdesigner zu grüßen. Dieser war jedoch nirgends zu sehen. Ein bis zum Schluss sibyllinischer Hedi Slimane.
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