Givenchy: Zu viele Ideen für zu viele Menschen
Man ist nie gut beraten, allen gefallen zu wollen, besonders, wenn man eine große Modenschau in Paris organisiert. Doch genau dieses Bestreben, verschiedenen Zielgruppen zu gefallen, bildete den Kern der jüngsten Kollektion von Givenchy. Eine kreative, aber verwirrende Kollektion, die am Mittwochnachmittag präsentiert wurde.
Groß war die Erwartung bevor das erste Model den ganz in Weiß gehüllten Laufsteg im Innern einer riesigen schwarzen Box hinter Les Invalides betrat. Ein Schwarm K-Pop-Stars posierte derweil mürrisch für Straßenfotografen und Amateur-Influencer.
Givenchy-Designer Matthew Williams ist unbestreitbar ein begabter Designer. Er entwarf einige vorzügliche Anzüge und Jacken – mit scharfer Schulterlinie, verjüngten Taillen und einzelnen Knöpfen, und darüber hinaus mehrere perfekte Smoking-Jacken mit spitzem Aufschlag zum Finale.
Weiter sandte er grandiose Mäntel über den Laufsteg, von umhüllenden Herrenmänteln mit Fischgrätenmuster über genoppte Kaschmir-Zweireiher bis hin zu Kunstpelzmänteln für fündig gewordene Ölsucher. Die Entwürfe waren in Grau-, Beige- und Anthrazittönen sowie intensivem Purpurrot gehalten und sahen durch und durch fabelhaft aus. Doch die Kombination mit reißverschlussbesetzten Ledershorts und Stiefeln oder Leder-Gummistiefeln war ungewöhnlich. Dazu ausgeblichene Hoodies, Grunge-Karoshirts und dicke Strickwaren, was dazu führte, dass die meisten Outfits ziemlich schwerfällig wirkten.
Auch Williams Interpretation der Streetwear war erratisch. Er schnitt ein paar großartige breitbeinige Lederhosen, die zu dicken Stiefeln mit Traktorsohlen getragen wurden – die Vorzeigeschuhe der Saison.
Doch die Kombination der Hosen mit Oversized-Shorts, Hoodies und Wollhemden war dann doch etwas zu viel des Guten. Wieso jemand teure Klamotten einer Pariser Couture-Marke wie Givenchy kaufen würde, um im Endeffekt auszusehen, wie ein arbeitsloser New Yorker Fahrradkurier, entzog sich unserem Verständnis.
Auch Williams Vorgänger waren mit Talent gesegnet, mehrere davon sogar mit einer genialen Begabung: John Galliano, Alexander McQueen, Julien Macdonald, Riccardo Tisci und Clare Waight Keller. Doch hatten sie alle ziemlich abweichende Modevisionen, was dazu führte, dass sich Givenchy zu einer leicht schizophrenen Marke entwickelt hat.
Heute, 27 Jahre nachdem sich der große Hubert de Givenchy aus seinem Label zurückzog, ist es schwierig, zu wissen, wofür Givenchy genau steht. Welche DNA hat das Modehaus? Wenn man sich auf die soeben gezeigte Kollektion stützt, dann wurde die DNA hauptsächlich aus Tiscis Givenchy abgeleitet. Vielleicht, weil er länger als die anderen Kreativdirektoren für das Unternehmen arbeitete.
Unter dem Strich ergibt sich eine unausgewogene Mischung aus Streetwear, Sex, verdrossenen Gesichtern und künstlicher Raffinesse. Das entspricht nicht gerade Hubert.
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