Jean Paul Gaultier: Haider Ackermanns Haute-Couture-Kollektion ist mehr Haider denn Gaultier
Viel Haider Ackermann und wenig Jean Paul bei der Haute Couture-Show von Haider Ackermann für Jean Paul Gaultier. Ackermann ist der vierte renommierte Gastdesigner, der im Rahmen eines langjährigen Projekts eingeladen wurde, eine einmalige Couture-Kollektion für Gaultier zu entwerfen, seit sich der berühmte Designer in den Ruhestand verabschiedet hat.
Die Show am Mittwochabend wurde mit großer Spannung erwartet, zahlreiche VIPs tummelten sich unter den Gästen. Gezeigt wurde eine knappe, stilvolle, tadellos geschnittene und gekonnt drapierte Kollektion. Doch ließ sie das explosive Spektakel der Gaultier-Schauen zu dessen Glanzzeiten vermissen.
Das Publikum war drei Mal kleiner als an einer üblichen Gaultier-Schau, vielleicht ein weiterer Grund, dass die Stars umso mehr in Auge stachen. Die Modelauswahl war sehr vielfältig – von Kylie Jenner über Timothée Chalamet, Tilda Swinton, Baz Luhrmann und Carla Bruni bis hin zu Catherine Deneuve, Anselm Kiefer, Lou Doillon und Daniel de la Falaise.
Das Erdgeschoss war Graublau eingefärbt, wie auch die minimalistische Einladung. Doch die Eröffnungslook waren mehrheitlich schwarz, mit ziemlich raffiniert geschnittenen Smokings, Jacken und Bustiers aus federleichter Grain-de-Poudre-Wolle. Die beiden ersten Looks umfassten prächtige hybride Mäntel mit Plissée-Harnischen, in Anspielung an die großartige Madame Grès.
Ackermann machte so viele Anspielungen auf Madame Grès, dass man das Gefühl erhielt, er habe seine Gs verwechselt und für das Haus Grès und nicht Gaultier designt. Wer nach typischen JPG-Elementen suchte – Seemannsstoffe, Crossdressing, Street Chic und Schottenkaros – nun, der wurde kaum fündig. Und wo waren die Trenchcoats und Kilts?
Es hatte jedoch auch etwas Erfrischendes an sich, dass Haider Gaultiers Stil nicht unterwürfig huldigte. Zumindest war da ein konisch zulaufender BH oder auch zwei, mit eisblauen Blütenblättern oder aus türkisfarbener Faille. Dazu einige skizzierte Korsagen, in höchst damenhafter Manier, die zwischen klassischen Smokinghosen und BHs hervorblitzten.
Es fühlte sich fast so an, als hätte Ackermann den Chemiekasten eines wahrhaften Pariser Couture-Ateliers erhalten und als wolle er nun beweisen, dass er ein echter Couturier sein kann – mit klassischer Plisseetechnik, Drapierungen und tadellosen Schnitten. Das führte dazu, dass die Kleider die klassischen Couture-Silhouetten in den Vordergrund stellten, und nicht die avantgardistische Drapierkunst, für die er bekannt ist.
Die Co-ed-Show enthielt großartige Menswear-Looks – von einer himmlischen türkisfarbenen Offiziersjacke mit Mikroplissee-Einsätzen bis hin zu einem atemberaubenden bestickten Metallic-Mantel und ebensolcher Jacke, kombiniert mit weißen Jeans. Ein idealer Red-Carpet-Look für Chalamet, wenn er denn einmal eine Musik-Filmbiografie dreht.
Denn eines der gelungensten Werke Haiders der vergangenen Jahre ist zweifellos der experimentelle rote Satinlook, den er für das Venice Film Festival für Timothée Chalamet entwarf.
Couture ist natürlich ein Labor für das Modedesign und so muss zugegeben werden, dass einige seiner Experimente fehlgeschlagen sind – insbesondere mehrere Tops mit spitzem Federbesatz, wie Enteneier, die von Seeigeln angegriffen werden. Andere waren hingegen brillant – eine pazifikblaue Faille-Bomberjacke mit Reißverschluss und langem Krepprock, die eine Standing Ovation verdient hätte. Eine erratische Show, mit ein paar wundervollen Momenten – wie ein locker geschnittener eisblauer Matinee-Idol-Anzug, der fabelhaft war.
Dazu ein faszinierender Soundtrack, auf dem Joana Preiss Sophie Fontanels Gedanken zur iranischen Revolte gegen die theokratische Regierung las, darauf folgte eine Interpretation von Baraye von Shervin Hajipour. Dann ertönte ein seltsames mechanisches Summen, als würde ein U-Boot auf Grund laufen.
Zum Finale umarmte Haider Jean Paul und sie gingen gemeinsam über den Laufsteg, während Gaultier strahlte. Doch das tat er genau genommen für alle vier Gastdesigner in seinem Haus.
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