Loewe: Brustpanzer und erotischer Surrealismus
Wohl kein anderer Designer hat derzeit so viele Ideen wie Jonathan Anderson, der an einem kühlen Freitagmorgen in Paris eine auffällige, surreale und doch subtile Kollektion für das Haus Loewe präsentierte.
Man weiß, dass die Geschäfte einer Marke gut laufen, wenn sie zu einer Show in der Garde Republicaine, der Kavalleriekaserne in der Nähe der Bastille, einlädt – wo schon Hermès und Christian Dior Schauen inszeniert haben.
Ein Dutzend wunderschöner Pferde absolvierten gerade ihre morgendlichen Übungen, als die Gäste am Veranstaltungsort eintrafen. Es war das erste Mal, dass Loewe die von Anderson bevorzugte Location im Inneren der UNESCO verließ, seit er vor acht Jahren die kreative Leitung übernommen hatte.
Man stieg die Treppe hinauf in ein wunderschönes Areal aus gekalktem Kiefernholz, das über dem Backstage-Bereich der Show errichtet worden war, so dass man praktisch die Decke der Reithalle berühren konnte.
Die Kollektion war oftmals ein Kampf zwischen Dekonstruktion und Drapierung, denn Anderson eröffnete die Show mit tetraedrischen Kleidern mit schrillen Winkeln und Stacheln, die eher nach Skulpturen als Mode aussahen. Als er sich an Denim heranwagte, zerlegte er Jeansjacken in asymmetrische Capes und Kleider, die mit blütenartigen Besätzen aus Faille versehen wurden.
Die poetischsten, aber auch eindringlichsten Bilder der Schau waren Andersons Brustplattenkleider, abstrakte Formen aus Metall oder Harz – sie erinnerten ein wenig an verzerrende Spiegel in einem Vergnügungspark –, die er zusammen mit einem Pariser Kunsthandwerker anfertigte und über Strick- und Cocktailkleider stülpte.
"Nach dieser ganzen Pandemie war es an der Zeit, neue Wege zu gehen und zu sehen, wie das Handwerk neu interpretiert werden kann. Geschlagenes Metall wird zur Reflexion, es entsteht ein Bild von uns selbst. Das Gefühl einer kontrollierten Frau, die in die Zukunft blickt und gleichzeitig mit der Vergangenheit verbunden ist", erklärte der stets wortgewandte nordirische Designer.
Loewe, obgleich eine spanische Marke, reiht sich damit in die französische Modegeschichte ein, in der Designer seit jeher Metall im Sinne des Futurismus, des Kitsches oder der Science Fiction eingesetzt haben.
Jonathans Ausgangspunkt war jedoch ein Gemälde in Florenz von Pontormo, dem italienischen Manieristen, der für seine schwebenden Figuren berühmt ist, die er jedoch auf psychedelische, verwaschene Weise neu interpretierte.
"Mir gefiel die Idee, die Geschichte verschwimmen zu lassen wie bei Richter", erklärte Anderson den zahlreichen Kritikern, die ihm nach der Show iPhones entgegenhielten.
Seine surrealistischsten Momente waren jedoch die neuen Schuhe von Loewe, insbesondere die Absätze – violette Seifenstücke, umgedrehte rote Rosen oder Kerzen aus Rosenwachs.
Nach einem halben Dutzend "Shows in Boxen" für Loewe und seine eigene Marke J.W. Anderson in den letzten 18 Monaten brauchte der Designer offensichtlich eine Neuausrichtung.
"Ich begann mit der Frage: Was ist der Zweck der Show? Also wollte ich etwas Erotisches, Psychedelisches und Surrealistisches... Im Moment ist die Idee, eine Show zu machen, ein seltsamer surrealistischer Akt, ein erotischer Akt. Alles ist irgendwie normal, aber das ist es nicht wirklich", sagte er achselzuckend.
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