Milano Unica zieht nach physischer Austragung der Messe eine akzeptable Bilanz
Die Gänge der am Mittwochnachmittag beendeten Milano Unica waren schwach bevölkert, doch erahnte man unter der Maske der Aussteller zufriedene Gesichter. Während die Covid-19-Pandemie noch immer um sich greift und die französische Konkurrenzveranstaltung Première Vision ihre Septemberausgabe rein digital organisiert, können die italienischen Weber stolz sein, die Herausforderung erfolgreich gemeistert zu haben. Denn die Durchführung des Events war angesichts der auferlegten Hygieneregeln alles andere als offensichtlich.
"Die Bilanz ist besser als erhofft. Vom ersten Tag an waren die Gänge vertretbar gut besucht und es wurden viele Treffen organisiert. Es ist offensichtlich, dass ein Vergleich mit der Vergangenheit nicht angebracht ist. Es handelte sich um die Messe des Neuanfangs", erklärte Alessandro Barberis Canonico, Chef der historischen Familienmarke Vitale Barberis Canonico und Präsident der Milano Unica, im Gespräch mit FashionNetwork.com.
Zur Erinnerung: Die 31. Ausgabe der Messe, die den Kollektionen der Herbst-/Wintersaison 2021 gewidmet ist, hätte im Juli stattfinden sollen. Sie wurde auf den 8. und 9. September verlegt und dabei von drei auf zwei Tage verkürzt. Die Messe, die wie gewohnt auf dem Messegelände Rho Fieramilano organisiert wurde, verzeichnete 207 Aussteller im Vergleich zu 400 im Normalfall. Sie zog 2400 Besucher an, 400 davon aus dem Ausland.
Wir trafen Alessandro Barberis Canonico kurz bevor er sich zum Abschlusstreffen des Präsidiums begab. Er sprach offen über die Schwierigkeiten, die den Markt aktuell belasten. "In Wirklichkeit ist niemand mit der jetzigen Situation zufrieden. Die meisten unserer Unternehmen leiden. Wirtschaftlich ist es sehr schwierig, um nicht zu sagen dramatisch. Heute gibt es keine Nachfrage", sagte er.
Der Präsident der Milano Unica relativierte dennoch: "Wir müssen langfristig planen. Das Ziel ist es, den Unternehmen dabei zu helfen, die zwei kommenden Saisons zu überstehen und sie dahin zu begleiten, wo sich der Markt entwickelt. Dabei rechnen wir damit, dass sich die Situation im zweiten Halbjahr 2021 wieder erholt", so Canonico weiter.
In der Ferne erklingt eine Lautsprecher-Mitteilung, die die Besucher in regelmäßigen Abständen zum Tragen der Maske und zum Einhalten der Sicherheitsabstände anregt. An den Ständen werden die letzten Treffen abgehalten während sich einige Designer um die langen Tische versammeln, auf denen die Trends präsentiert werden.
"Rein objektiv ist der Markt schwierig. Der Umsatz der Weber ist seit Beginn des Jahres um 20 bis 50 Prozent eingebrochen. Besonders in Amerika ist die Situation kompliziert. Die Wolle litt besonders stark, während Sportswear-Funktionsstoffe besser abschnitten", fasst Albini-Chef Stefano Albini zusammen.
"Noch bis am Abend vor der Milano Unica herrschte große Unsicherheit. Es hat nur halb so viele Aussteller wie üblich, doch wollten wir ein Signal senden, zeigen, dass die italienische Stoffindustrie noch präsent und lebendig ist und dass wir für den Neustart bereit sind. Es war gut, dieses Risiko einzugehen und an der Durchführung festzuhalten, denn schlussendlich hatten wir mehr Besucher als ursprünglich erwartet. Hauptsächlich Italiener und rund 15 bis 20 Prozent Ausländer", erklärte er weiter.
"Es war die erste große europäische Messe nach der Gesundheitskrise. Wir verspürten bei den Webern und den Käufern ein starkes Bedürfnis, wieder zusammenzufinden, zum Austausch, und um die Stoffe in die Hand nehmen zu können. Dieses physische Wiedersehen hat allen gut getan", betont er. Er verweist auch auf die Besonderheit der Session: "Wir befinden uns in einer grundlegend anderen Situation als früher, doch war diese Messe der erste Schritt zurück zur Normalität".
Ganz ähnlich sah es auch das Unternehmen Loro Piano, das hauptsächlich italienische Kunden empfing, aber auch einige Besucher aus Deutschland, Großbritannien und ein paar in Mailand ansässige Amerikaner. Wo Käufer bisher meist zu viert oder zu fünft auftraten reisten sie nun allein oder höchstens mit einer Begleitperson an, wodurch die Distanzierungsregeln besser durchgesetzt werden konnten.
Eine weitere Lehre aus dieser Veranstaltung: Das Streben nach Tragekomfort. Nach monatelangem Home-Office und einem neuen Fokus auf das Leben zu Hause interessieren sich Marken und Designer für elastischere Stoffe für bequemere Kleider, die sich den Körperformen anpassen.
Das auf Strick und Jersey spezialisierte Unternehmen Maria Cristina Cucchetti zog ebenfalls eine positive Bilanz, die Veranstaltung sei besser ausgefallen als erwartet. Dennoch habe die Marke "weder Franzosen noch Briten noch Chinesen gesehen. Es war eine Herausforderung, doch hat es funktioniert. Wir haben zwar weniger als die Hälfte der üblichen Treffen gehabt, doch dauerte die Messe nur zwei Tage, wenn auch jeweils eine Stunde länger, doch das änderte nicht viel".
Viele erwähnten auch die vorsichtige Einstellung der Besucher. "Es hängt eine Ungewissheit in der Luft, doch das ist unvermeidlich. An der Durchführung der Milano Unica festzuhalten, das verlangte Mut und es hat ziemlich gut geklappt. Bei einigen Unternehmen musste ich es aufgrund des Besucheraufkommens zwei Mal versuchen", berichtet der Kreativdirektor von Lucio Costa, Roberto Pelizzoni.
"Wir verspürten eine gewisse Erwartungshaltung. Es gab ein großes Bestreben, neu zu starten, doch mit einer abwartenden Haltung. Niemand will sich zu sehr festlegen", bemerkte ein Marketingverantwortlicher eines großen Modehauses, der anonym bleiben möchte.
Er hatte parallel zur Veranstaltung viele virtuelle Treffen organisiert, doch war er der Ansicht, man könne "nicht auf die physische Messe verzichten. Das bleibt der neuralgische Entwicklungspunkt für die gesamte Stoffbranche. Die Kunden können an der Messe mehrere Hersteller auf einmal treffen, es gibt einen intensiven Austausch, der bereichernd ist. Der digitale Teil ist insbesondere hinsichtlich des Greif- und Tasterlebnisses eingeschränkt, und dieses ist in der Branche grundlegend".
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