Modebranche verschafft sich in Brüssel Gehör
Zum ersten Mal richtete sich der Branchenverband European Fashion Alliance (EFA), der 25 Berufsverbände der Modeindustrie vertritt, öffentlich an die Europäische Union. Die höchsten Vertreter der kreativen Modebranche nahmen am Mittwoch, 7. Juni an einem außergewöhnlichen Treffen im Europäischen Parlament in Brüssel teil. Sie bezogen zu verschiedenen dringenden Themen Stellung, wie beispielsweise Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit. Das Treffen fand vor dem Hintergrund der aktuell auf EU-Ebene laufenden Besprechungen über bedeutende neue Regelungen in diesem Bereich statt.

Mehrere Teilnehmende bezeichneten das Treffen als "historisches Ereignis". "Eine bislang einzigartige Stellungnahme der kreativen Modebranche. Bisher gab es kein klar identifiziertes Sprachrohr für diese Art politischer Gespräche auf europäischer Ebene. Angesichts der zahlreichen Regelungen, die in Europa in Vorbereitung sind, wollen wir an der Debatte teilhaben und unsere Spezifitäten einbringen", erklärt Pascal Morand, der die französische Fédération de la Haute Couture et de la Mode vertritt.
"Bislang ergriffen wir individuell Maßnahmen, um Kontakt zu den EU-Instanzen aufzunehmen, und traten ohne Koordinierung auf. Natürlich gibt es auf europäischer Ebene bereits Akteure der Textilindustrie, wie Euratex zum Beispiel, doch hatte die kulturelle und kreative Bandbreite der Modebranche keinen offiziellen institutionellen Vertreter. Mit der EFA ist das nun der Fall", bekräftigt Carlo Capasa der italienischen Modekammer Camera nazionale della moda italiana (CNMI). Die im Juni 2022 gegründete EFA besteht aus 29 Mitgliedern und vertritt 25 Berufsverbände aus 23 Ländern, 10 000 KMU sowie 11 Modewochen.
Es handelte sich wohlgemerkt nicht um ein Treffen im Plenarsaal, sondern um ein Frühstückstreffen in einem schlichten Konferenzraum in aller Frühe. Eröffnet wurde die Sitzung durch den deutschen Abgeordneten Christian Ehler, Berichterstatter des Parlamentsausschusses Industrie, Forschung und Energie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien. Einleitend betonte Ehler, dass das Parlament bis anhin keine direkten Ansprechpartner in dieser Branche hatte. "Wir brauchen Ihre Expertise. Ohne Sie können wir das nicht erreichen. Die Weichen für die Zukunft werden angesichts der Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung und des Klimawandels jetzt gestellt", sagte er weiter.
Die Dringlichkeit der Gespräche wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die EU erstmals 2,3 Milliarden Euro in ein Forschungsprogramm für die Kreativbranche (im breitesten Sinne, nicht nur die Mode) investieren wird. Deshalb ist es für die Modebranche besonders wichtig, ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen zu können. "In der Praxis brauchen wir Ansprechpartner für den Austausch und konkrete Projekte, die finanziert werden können. Das geschieht jetzt, zumal Ende Jahr für ein Textilforschungsprogramm eine Milliarde Euro zusätzlich aufgewendet wird", so Ehler weiter. Der Abgeordnete gründete 2014 mit Pervence Berès die interfraktionelle Gruppe Kultur- und Kreativwirtschaft des EU-Parlaments.

Eröffnet wurde die Diskussion von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der die Schlüsselthemen Nachhaltigkeit, Unternehmertum und Schutz des geistigen Eigentums in den Vordergrund rückte. "Einige unserer Kollegen sind sich noch nicht bewusst, wie wichtig Sie sind. Wir möchten Sie in diesem entscheidenden Moment und durch die globalen Veränderungen hindurch unterstützen", sagte er zu den Vertretern der EFA. "Ihre Branche befindet sich an einem Wendepunkt. Wir sind da, um Ihnen zu helfen. Sie sind die Leader dieser Branche und wir wollen, dass Sie in Ihrer Pionier-Aufgabe weitergehen können".
Den zweiten Fokus der Diskussion bildete der von der EU-Kommission am 30. März 2022 angenommene Vorschlag zur neuen Verordnung "Ökodesign für nachhaltige Produkte" (Ecodesign for Sustainable Products Regulation - ESPR). Diese soll 2024 im Parlament besprochen und verabschiedet werden, um möglicherweise 2025 in Kraft zu treten. Die Verordnung führt unter anderem einen digitalen Produktpass für eine große Auswahl an Produkten ein, darunter auch Kleidung. Vor allem aber sieht sie ein Verbot für die Vernichtung nicht verkaufter Neuware vor, wie auch ein Verbot, nicht verkaufte Artikel zu recyceln. Diese Maßnahme soll insbesondere in der Fast Fashion dafür sorgen, dass weniger produziert wird.
Pascal Morand verwies darauf, dass "Recycling für viele Marken Teil eines kreislauforientierten Ansatzes ist. Somit besteht das Risiko, dass man dadurch ein ganzes Standbein der zirkulären Wirtschaft wegnimmt, und die Motivation der Designer bremst, sich in diesem Bereich zu engagieren". "In dieser ESPR-Verordnung, von der wir auch betroffen sind, gibt es parallel zum französischen Zeitplan der Ökodesign-Reglementierung auch kurzfristige Herausforderungen. Es ist für uns sehr wichtig, Stellung zu nehmen", führt er weiter aus.
"Und natürlich muss auch der internationale Wettbewerb berücksichtigt werden. Es ist offensichtlich, dass wir uns auf weltweiter Ebene für eine nachhaltigere Mode einsetzen müssen. Wir haben nur eine Erde! Wir müssen deshalb gemeinsam ethische Regeln erstellen, aber auch an technologischer Innovation arbeiten. Diese beiden Elemente machen die Mode der Zukunft aus", erklärt Carlo Capasa abschließend.
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