Paris Fashion Week: Mode zwischen Licht und Schatten
Zwei starke Trends machten sich am Freitag und Samstag auf den Pariser Laufstegen bemerkbar: Einerseits eine selbstbewusste, starke Haltung mit einer größtenteils dunklen Farbpalette und einer sehr maskulinen Silhouette bei Haider Ackermann, eine rebellisch-schicken 80er-Jahre-Attitüde bei Balmain und der Rock&Romance-Stil bei Altuzarra. Dem stand ein romantischerer Zweig gegenüber, mit betont leichten und bunten Kleidern.

Androgyne Mode von Haider Ackermann
Der Raum ist in Dunkelheit gehüllt, es ist lediglich ein gleichmäßiges Atmen und ein klopfendes Geräusch zu hören – ein Herzschlag, vielleicht? Weit hinten erscheint plötzlich eine Tür im gleißend roten Licht, in dessen Flackern sich die ersten Models abzeichnen, mit glänzenden Haaren, als wären sie eingefroren. Sie bewegen sich auf dem schneeweißen Teppich fort, ihre Hände in die Manteltaschen gegraben oder um ihre Körper gehüllt, wie um sich aufzuwärmen.
Schwarz, Rot und Weiß sind die vorherrschenden Farben der Damen- und Herren-Kollektion von Haider Ackermann, mit Jacken und Hosen, die so eng anliegen, dass man sie für Leggings halten könnte. Pailletten auf einem schwarzen Wollmantel funkeln als wären es Schneekristalle.
Mit Ausnahme eines durch und durch rubinroten Looks und einiger weißen T-Shirts dienen rote und weiße Farbtupfer lediglich dazu, die Garderobe an verschiedenen Stellen aufzuhellen. So sind sie auf dunklen Kleidungsstücken in Form von Mikromotiven oder kleinen Karos im Revers, am Ärmelabschluss, im Schulterbereich einer Nylonjacke und in vertikalen Streifen auf Hosenmodellen wiederzufinden.
Intensivere Farbeinsätze finden in Mänteln oder in Strickärmeln, die an klassische Jacken angesetzt werden, Einzug. Und das Keuchen und Seufzen zu Beginn der Show wird in einem Remix des Songs "Je t'aime, moi non plus" von Serge Gainsbourg wieder aufgegriffen.

Rebellische Eleganz bei Balmain
Auch bei Balmain ist die Kollektion hauptsächlich in Schwarz und Weiß gehalten. Sie wird stellenweise durch funkelnde Strass-Steinchen, Pailletten, Perlen, Nieten und insbesondere metallische Spitzen aufgehellt, die Kleider, Jacken, Schuhe und die typischen runden Ledertaschen des Labels zieren. Der Kreativdirektor der Marke, Olivier Rousteing, brachte das Publikum am Freitag mit den Hits der 80er Jahre (Eurythmics, Depeche Mode und Alphaville) in Partystimmung.
Er übernahm und überspitzte die Rock-Sexy-Attitüde der 80er Jahre, mit der er bislang sehr erfolgreich gefahren ist: Jacken mit strukturierten Schultern und kurze Kleider mit tiefem Ausschnitt. Kein Detail fehlte: Ledermützen, nietenbesetzte Lederjacken, ausgefranste, ausgewaschene Jeansoutfits, Fransenjacken und Hosen, die an der Taille breit geschnitten und nach unten enger zulaufen, aber auch Schleifen und Ketten, in Form von Gürteln oder Schuhriemen.
Für den Abend bietet Balmain eine Hochglanzgarderobe, mit glänzenden Overknees und Ensembles aus Lackleder, Satin, Vinyl und sogar aus transparentem Kunststoff. Kombiniert werden schwarze Vinylbustiers, kurze Kleider mit langer Schleppe und majestätische Umhänge.

Die romantische Bikerin von Altuzarra
Schwarzes Leder und Metallketten dominieren bei Altuzarra. Das Label schlägt für die neue Saison einen unerwartet aggressiven Ton an. Wie auch das Haus Balmain inspiriert sich Joseph Altuzarra mit seinen Fransenjacken und schwarzen Lederhosen, XL-Shearlingmänteln und Gürteln mit Metallösen am Biker-Stil. Lederbänder werden um einen Tweedrock und Ketten bei Absatzsandalen um den Knöchel gewickelt.
Doch die romantische Seite des Designers ist nie weit weg. Sie beseelt die Kollektion mit fließenden Jerseykleidern, auf der Hüfte geknoteten Wickelröcken, Rüschenkleidern aus Seide, und dem omnipräsenten Grundmotiv, dem Paisley-Muster. Am Abend erstrahlt die Altuzarra-Frau im Goldlamé-Plissée-Rock.

Geometrie und Farben bei Issey Miyake
Szenenwechsel bei Issey Miyake. Die mehrfarbigen, flatternden, wie in der Luft schwebenden Silhouetten nahmen den großen Hof des Lycée Carnot in einer Art ewigwährendem Tanz für sich ein. Die Linien kollidieren zwischen Streifen, Wellen und geometrischen Formen, während die Entwürfe in einem mehrfarbigen Crescendo nach und nach von der Farbe erobert werden.
Kreativdirektor Yoshiyuki Miyamae vertieft in dieser Saison seine Textilforschung weiter. Mit dem Polyethylenstoff "Dough Dough" gelang es ihm im vergangenen Sommer, Kleidern Form zu geben. Nun verleiht er dem Stoff durch neue Fasermischungen (z. B. Wolle) mit Geschmeidigkeit und Farbe. Er setzt auch auf ein neues Material: "Blink". Dieses erzeugt durch aufgedruckte Kunstharzmotive einen Kaleidoskop-Effekt.
Kleider, Blusen, Mäntel in blauen, grünen und gelben Farbtönen leuchten wie Lichtspektren. Anderenorts liegen bunte Vierecke in XL-Wollmänteln und langen Tuniken übereinander, als würden sie aufeinanderstoßen.

Der Designer greift weiter ein geometrisches Diamantenmotiv aus den berühmten Bao Bao-Taschen des Hauses auf. Sie erscheinen auf feinstem Papier auf Tops, Hosen und weißen, schwarzen sowie bunten Mänteln. Das Publikum zeigte sich angesichts der technologischen Meisterleistung und der Poesie der Kleidungsstücke entzückt.
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit mit Rahul Mishra
Rahul Mishra bot am Samstag in Paris ebenfalls Poesie, doch einer ganz anderen Art. Seine Mode steht nicht für modernste technologischen Meisterleistungen, sondern steht für altüberliefertes Know-how und traditionelle indische Sticktechnik ein. Wie auch bei Issey Miyake startet er seine Herbst-/Winterkollektion 2019/2020 mit neutralen Farbtönen in Weiß und Grau und komfortablen Modellen, und ergänzt die Entwürfe nach und nach mit Farbe und dekorativen Details.
Mäntel, Blusen, Kleider und Hosen sind aus qualitativer Madras-Baumwolle in nüchternen Schwarz- und Weißtönen gefertigt. Bis plötzlich in Hemdkleidern oder extraleichten Anzügen limettengrüne und korallenrote Farbtupfen aufblitzen.

Rahul Mishra geht mit dieser Kollektion den Spuren seiner Kindheit im nordindischen Dorf Malhausi nach, wo er aufwuchs. Den grauen Tartan-Stoff, den er in Erinnerung an seine Schuluniformen wählte, setzte er für Herrenanzüge, lange Mäntel und ein überlanges Hemdkleid ein.
Schnell gewinnt die Natur die Überhand und übersät die Entwürfe mit von Hand gestickten Blumen und goldenen Spitzenstickerein. Etwas später erobert die Pflanzenwelt schwarze Seidentops und eine durchscheinende Tunika mit Stickereien in verschiedenen Grüntönen.
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